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Die Kulturtomate (Lycopersicon esculentum L.) zählt zu den Pflanzenarten, die erst relativ spät in den Fokus von Quedlinburger Züchtern gelangte. Die Hochzeit der hiesigen Tomatenzüchtung begann in den 1930er Jahren und setzte sich bis 1990 fort. Deutschlands bekannteste Sorte ‘Harzfeuer F1‘ kommt aus Quedlinburg. Aber der Reihenfolge nach:

Die erste Quedlinburger Gärtnerei, die sich mit der Züchtung von Tomaten beschäftigte, ist wahrscheinlich der Gartenbaubetrieb Gebr. Ebert in der ehemaligen Bismarckstr. 12, heute Stresemann Str. 30, am Itschensteg. Bereits in den 1880er Jahre selektierte man hier erstes Zuchtmaterial und war bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs aktiv. Die Züchtungen der Gebr. Ebert gelten als verschollen, auch Sortennamen sind leider nicht mehr bekannt.

Im Preisverzeichnis der Firma Samuel Lorenz Ziemann wurde 1909 die Sorte ‘Ziemanns Rote Riesen‘ erwähnt.

Bereits vor 1910 befand sich die Sorte ‘Goliath‘ der Firma David Sachs im Handel. Erstmals ausgestellt und als hervorragende Gemüsesorte bezeichnet wurde sie auf der Gemüse-Ausstellung des Vereins zur Beförderung des Gartenbaues in Berlin 1910. Weitere Tomatensorten sind ‘Allererste‘ und ‘Rote Beere‘, die ab 1937 in den Handel gelangten. ‘Schreibers Priora‘ wurde im Katalog 1938 erstmalig erwähnt. 1940 befand sich die Sorte ‘Braunfleckfeste Treib‘ in Prüfung bei der Sortenregisterstelle, erhielt aber keine Sortenzulassung. Leider gelten auch hier alle Sorten als verschollen. Der von jüdischen Glauben zum Protestantismus konvertierte Inhaber Hans Sachs galt in der Nazizeit als Jude. Um einer Arisierung (Enteignung) zu entgehen, überschrieben er und seine Schwester Henriette Jacobs, geb. Sachs, ihre Anteile auf Rudolf Schreiber, der bereits 1900 in das Unternehmen David Sachs als Züchter und Mitinhaber eingetreten war. 1942 musste die Ehefrau Elsbeth Sachs ihre restlichen Anteile auch an Rudolf Schreiber übertragen, der nun neuer Allein-Inhaber wurde. Er firmierte bis zur Enteignung 1945 unter dem Namen Rudolf Schreiber & Söhne (Abb.1).

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Abb. 1: Haupt-Preisverzeichnis 1937/38 der Samenzüchterei Rudolf Schreiber & Söhne. Einlageblatt bezüglich der Enteignung von David Sachs.

1931 führte die Otto Storbeck Samenzüchterei die Tomatensorte ‘Standard‘ ein. Diese Sorte fand aber nur in den 1930er Jahren Verbreitung. Die Saatzuchtfirma Andreas Keilholz zog 1936 ihre Freiland-Stabtomate ‘Weltbrand‘ aus der offiziellen Sortenprüfung zurück. Von der Gebr. Dippe AG ist nur der Stamm „Dippes Nz 802“ bekannt. Er ist in der Genbank des IPK Gatersleben eingelagert.

Nach dem Zeiten Weltkrieg erfolgten umfangreiche Züchtungsarbeiten am Institut für Pflanzenzüchtung Quedlinburg (1972 in Institut für Züchtungsforschung umbenannt). Erstes Ausgangsmaterial waren u.a. Zuchtstämme aus den Kreuzungsarbeiten des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Züchtungsforschung Müncheberg (R. v. Sengbusch). Dieses Zuchtmaterial war bereits Mitte der 1930er Jahre an die Fa. David Sachs übergeben worden. Daraus resultierten u.a. die oben genannten Sorten ‘Allererste‘ und ‘Rote Beere‘ (Abb. 2). Das Material wurde wohl von Friedrich Fabig ins Institut für Pflanzenzüchtung mitgebracht, der seit 1941 bei Rudolf Schreiber & Söhne züchterisch tätig war.

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Abb. 2: Haupt-Preisverzeichnis 1937/38 der Samenzüchterei Rudolf Schreiber & Söhne. Neuheiten 1937-38.

Die 1951 zugelassene Sorte ‘Frühe Liebe‘ basiert ebenfalls auf dem Müncheberger Material. Manfred Kummer, der die Idee zum Quedlinburger Züchterpfad hatte und in den 1950er Jahren für die Tomatenprüfungen am Prüfort Quedlinburg der Zentralstelle für Sortenwesen verantwortlich war, notierte in einem DSG-Katalog von 1953 die Herkunft der Sorte (Abb. 3):

ca. 1930: Kreuzung „Bonner Beste“ x Lycopersicum pimpinellifolium (E.-Baur-Inst. Müncheberg)

1936: Beginn der Züchtungsarbeit in Quedlinburg = frühreife u. platzfeste Typen x „Mikado“

1951: Hz „Quedlinburger Fr. Liebe“ (14 Tg. Früher als „Bonner Beste“ u. 21 Tg. Früher als „Rheinlands Ruhm“, Ertrag: 85 % v. „B. Beste“

1952 53 DSG Hauptkatalog Kummer 2Abb. 3: Handschriftliche Herkunftsangaben von Manfred Kummer zur Sorte ‘Frühe Liebe‘

Züchter der ‘Frühen Liebe‘ (synonym ‘Quedlinburger Frühe Liebe‘) war Friedrich Fabig. Er entwickelte sich zum erfolgreichsten Gemüsezüchter Quedlinburgs und züchtete in seinem Berufsleben bis 1986 über 70 Gemüsesorten, davon allein sieben Tomatensorten! 1953 folgten die von Fabig gezüchtete Sorte ‘Fanal‘ sowie die von Paul Vogel entwickelte Stabtomate ‘Harzer Kind‘.

Friedrich Fabig war maßgeblich an der Einführung der Tomaten-Hybridzüchtung beteiligt. Bekannt ist er durch seine Schöpfung ‘Harzfeuer F1‘. Diese war die erste DDR-Hybridtomate und wurde 1959 zunächst unter dem Namen ‘Primavera‘ zugelassen. Auf Einspruch einer westdeutschen Saatgutfirma, die eine Tomate gleichen Namens im Sortiment hatte, musste kurzfristig ein neuer Name gefunden werden. Der Züchter entschied sich für ‘Harzfeuer F1‘. Am 21. September 1961 wurde der neue Name im DDR-Sortenregister bekanntgegeben.

Weitere Sorten von Friedrich Fabig waren ‘Grit‘ (1970) sowie in den 1980er Jahren die Hybridsorten ‘Joker F1‘ und mit Rolf Bielau ‘Boderot F1‘ und ‘Bodeglut F1‘. Letztgenannter züchtete auch die Sorte ‘Ines F1‘. Die Züchtung von Martin Stein ‘Auriga‘, eine Sorte mit leicht oranger Farbe und hohem Beta-Carotin-Gehalt, kam 1980 in den Handel und ist heute als Hobbysorte gefragt. 1984 folgte im Institut für Züchtungsforschung Quedlinburg die Buschtomate ‘Katrina‘, deren Züchterin Barbara Neubert ist. Weitere Buschtomaten von ihr waren ‘Helga‘ und ‘Almut‘. Mehrere Neuzuchtstämme aus dem Institut konnten nach der Eingliederung in die BRD nicht mehr zur Zulassung gebracht werden.

Auch nach 1991 ging die Tomatenzüchtung in Quedlinburg weiter. Christoph Kleinhannns züchtete nach dem Wechsel aus Eisleben in die Samen Mauser Quedlinburg Zucht u. Produktion, später Saatzucht Quedlinburg GmbH die kompakten Mini Sorten ‘Balcony Red‘ und ‘Balcony Yellow‘ für die Topf- und Terassenkultur. Dazu kamen bis 1998 gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Kunzemann die für den Intensivanbau im Gewächshaus geeigneten Sorten ‘Itema F1‘, ‘Franzi F1‘, ‘Lioba F1‘ und ‘Fatima F1‘.

In der Kontinuität der Quedlinburger Tomatenzüchtung liegen die acht Sorten der Firma satimex Quedlinburg GmbH, die ab 2018 von Eike Kampe und Clemens Heinzerling in den Handel gebracht wurden. Es sind vier Cocktailtomaten: ‘Lemonia F1‘, ‘Red Bambi F1‘, ‘Black Bambie F1‘, ‘Yellow Bambi F1‘, zwei Fleischtomaten: ‘Quedlinburger Ochsenherz‘, ‘Quedlinburger Rosamunde F1‘ sowie die Sorten ‘Oringa‘ und ‘Black Jack‘. Drei der Sorten sind derzeit noch im Zulassungsverfahren.

Das Quellenverzeichnis ist bei den Autoren einsehbar.

 

 

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