Eine Herausforderung der Robert Bosch Stiftung Stuttgart
Nach der juristischen Vereinigung Deutschlands vom 3. Oktober 1990 hatte die Robert Bosch Stiftung Stuttgart das Programm „Orte deutscher Geschichte in den neuen Bundesländern“ aufgenommen. Es sollte historisch interessierten Bürgergruppen Anregungen und Hilfen geben, die Ortsgeschichte als Teil deutscher Geschichte und europäischer Zusammenhänge neu zu erschließen. Derart diente das Programm in Ost und West auf unterschiedliche Weise der Wiedergewinnung gemein-samen historischen Terrains. Unser an der „Hauptstraße der Geschichte“ gelegenes Quedlinburg sollte unter allen Umständen zu den vermittelnden Orten zählen. Das ist gelungen.
Vereinsübergreifende Projektarbeit
Schon früh Ausstellungsmitstreiter gefunden
Quedlinburg, Station auf der Suche nach dem Weg der Einheit Deutschlands
Die Karte zeigt die Stammesgrenzen im 10. Jahrhundert. (Quedlinburg Kartenquelle: Historiensammlung Mittelstaedt)
Etwas Bleibendes vor Jahren geschaffen
Die 1997 „geborene“ Tafel-Ausstellung „Quedlinburg - ein klassischer Stadtlebenslauf in Urkunden“ ist zwischenzeitlich als Dauerpräsentation täglich in der Marktkirche jedermann zugänglich. Die Arbeit unter der Projektverantwortung des Kultur- und Heimatvereines Quedlinburg schuf hier etwas Bleibendes, das wichtig ist für die Stadt, für unser Land.
Die heutige Weltkulturerbestadt Quedlinburg ist der Gründungsort der deutschen Einheit
Das bezeugt die Quedlinburger Königsurkunde Heinrichs I. vom 16. Sep-tember 929. Sie ist als Bestandteil der bedeutendsten deutschen Ge-schichtsquellensammlung, der 1879 veröffentlichten MONUMENTA GERMANIAE HISTORICA (Denkmäler der deutschen Geschichte), eine der Haupturkunden der Quedlinburger „Urkunden-Ausstellung“.
Am Königshof der Pfalzstadt / Burgstadt Quedlinburg hatten sich im September 929 die Reichsfürsten von Adel und Klerus zum Hoftag ver-sammelt. Drängende Politik der Zeit galt es zu besprechen und gewichtige Entscheidungen zur erstmaligen Schaffung einer deutschen Einheit zu treffen.
929, im zehnten Jahr seiner Herrschaft, hatte König Heinrich I. eine erste Zentralmacht-Verbindung der Stammesverbände des frühfeudalen deut-schen Staates erreicht. Er erhielt auf dem Hoftag in der Quedlinburger Pfalz die Zustimmung der maßgeblichen Vertreter des Adels, seinen Sohn Otto zu seinem Nachfolger vorzuschlagen. Starke Könige desi-gnierten ihren Nachfolger bereits zu Lebzeiten. Mit dieser Maßnahme wurde das Unteilbarkeitsprinzip des mittelalterlichen deutschen Reiches entwickelt. Das war eine Entscheidung von geschichtlicher Dimension auf dem Weg zu einem deutschen Einheitsstaat. Die von Heinrich I. getroffene Nachfolgeregelung sicherte endgültig das Prinzip der Unteilbarkeit des Reiches als wichtigste Voraussetzung für eine Staatseinheit mit Zukunft.
Mit der königlichen Beurkundung vom 16. September 929 (actum in loco qui dicitur quitilingaburg) macht Quedlinburg mit seinem „Lebenslauf in Urkunden“ sichtbar, dass die Weltkulturerbestadt der beurkundete Gründungsort der deutschen Einheit ist.
In Quedlinburg lebendig gebliebene Zeugnisse auf dem Weg zur nationalen Einheit
Die Stiftskirche Quedlinburg hat ihre praktische urbane Zweckbestimmung als festliche Königskirche des ersten deutschen Herrschergeschlechtes, der Ottonen, verloren. Sie erfüllt heute die höhere Funktion als Symbol des Gründungsortes des ersten, des frühfeudalen deutschen Einheitsstaates. Ihr „Schatz der ersten Kaiser und Könige“ (Domschatz), sakrales Nationalgut und Symbol der Einheit Deutschlands, ist seit dem 19. September 1993 wiedervereint in der Quedlinburger Stiftskirche zu bestaunen.
Mit der politischen Wende von 1989 und der folgenden Wiedervereinigung Deutschlands vom 3. Oktober 1990 wurden noch zu DDR-Zeiten geplante Abrisse von Teilen der Quedlinburger Altstadt verhindert, der Verfall aufgehalten. Förderprogramme ermöglichen seitdem komplexe Sanierung und Modernisierung der denkmalgeschützten Altstadt.
Dagegen sind Quedlinburgs ruinöse Gewerbegebiete infolge der Gewerbeniedergänge der Nachwendezeit negativ stadtprägend. Doch am Umgang mit diesen ruinösen Quartieren werden sich die Lebensfragen der Stadt Stadt entscheiden. Das Einheits-Ziel kann hier nur lauten: In der Stadt darf nicht die Arbeit verschwinden, weil mit ihr die Zukunft verschwindet.
Geschrieben von Manfred Mittelstaedt mit freundlicher Unterstützung des "Quedel"-Verlages