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Das Stadtquartier Dippehof war zu Beginn der 1850er Jahre zum großen Teil noch ein Obstgarten. Darin eingebettet lag der neu angelegte Blumen-Zuchtgarten der Gebrüder Dippe. Was hier und draußen auf ihren Blumenfeldern Neues geschah, darüber berichtete eine zu jener Zeit weit verbreitete Gartenbauzeitschrift.

In der Gartenkultur des 19. Jahrhunderts spielten Blumen eine sehr große Rolle. Neue Blumenarten aus anderen Erdteilen kamen seit den 1820er Jahren in großer Anzahl nach Europa. Von deren Anbau und Kultur waren auch die Brüder Lorenz und Gustav Dippe begeistert und gingen mit großem Eifer ans Werk. Bereits im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens stieg ihre 1850 gegründete Kunst- und Handelsgärtnerei zu den fünf großen Handelsgärtnereien Quedlinburgs auf. Während die  älteren Samenbaugeschäfte en gros (u.a. Heinrich Mette und Martin Grashoff) etwa je zur Hälfte Gemüse und zuckerhaltige Rüben züchteten und vermehrten, beschäftigten sich die Brüder Gustav und Lorenz Dippe hauptsächlich mit der Gewinnung von Sämereien der gewöhnlichen Florblumen. Ihr erster Zuchtgarten lag auf dem Areal des damals noch vor der Stadt gelegenen Dippe-Hofes.

Für dieses Mal hatte sich der Magdeburger Lehrer Immisch und Vorstand des Garten- und Blumenbauvereins jener Stadt im Jahr 1852 - statt einer Erfurter Samenbauhandlung - einen Quedlinburger Betrieb für seinen Beitrag in einer überregionalen Gartenzeitschrift ausgewählt. Dabei lag ihm besonders daran zu erfahren, wie sortenreiner Samenbau im Großen gelingen kann. Er entschied sich für den eingangs erwähnten Saatzuchtbetrieb der Gebrüder Dippe am Neuen Weg. Dort angekommen, lobte er die Lage des Gartens und auch dessen zweckmäßige Einrichtung. Von herrlichen Obstplantagen und der Bode umgeben, lag der zur Blumenzucht bestimmte Teil am Wohnhaus. Im Weiteren wurde er begrenzt durch benachbarte Gärten und einen Fahrweg. Zur Hebung der Bodenfruchtbarkeit war der Obstgarten schon seit vielen Jahren mit Bodeschlamm und Rasenerde gedüngt worden.

Leidenschaftliches Interesse an der Blumenzüchtung

Astern- und Levkojen-Samen in großen Mengen

Schon der Blumengarten beim Wohnhaus zeugte auf den ersten Blick von viel Sorgfalt und großem Fleiß, der sich selbst am Kleinsten bemerkbar machte. Die einjährigen Sommerblumen prangten gerade in üppiger Fülle. Die Sorten waren überall gut abgegrenzt und legten durch ihren üppigen Wuchs Zeugnis für ihren guten Kulturzustand ab. Dieser erforderte sicher eine spezielle Erde und angepasste Düngung. 

Die mit Tausenden Töpfen besetzte Levkojen-Stellage war eine der größten, die der Sachverständige je gesehen hatte. Bei ihrer Kultur unterschied man Pflanzen mit einfachen und gefüllten Blüten. Letztere waren besonders begehrt. Da sie selbst unfruchtbar waren, mussten sie immer wieder aus einfach blühenden Pflanzen gezüchtet werden. Nach seiner Einschätzung ließen auf allen Levkojen tragenden Stellagen elf von 12 Töpfen Samen mit gefüllt blühenden Levkojen erwarten. Überhaupt schienen  die Gebrüder Dippe mehr auf die Güte des Samens als auf dessen Menge zu setzen. Das sei unter jeder Bedingung lobenswert. Ganz so zeichneten sich auch die Levkojen auf den freien Beeten aus. Auch hier stellten wenigstens neun von zehn Töpfen Samen für gefüllte Blumen in Aussicht. Allgemeine Bewunderung und Anerkennung hatten sich die Gebrüder Dippe bereits durch ihre neuen großblumigen Sommer-Levkojen aus eigener Zucht erworben, sowie für die sehr stark gefüllten Zwerg-Levkojen. Das blieb nicht unbemerkt.   Abb.8 LevkojenLevkojen, se vende chez Jean Michelle Probst a. d. Augsbourg.

So berichteten 1852 darüber die von Eugen Fürst in Bayern herausgegebenen „Frauendorfer Blätter“. Darin heißt es unter anderem: Die Kunst- und Handelsgärtnerei der Gebrüder Dippe in Quedlinburg ziehe Blumen - besonders Astern- und Levkojensamen - in Masse. In dieser Gärtnerei reife in vielen tausend Töpfen der Samen der Levkojen, in Tausenden anderer der Goldlack in lauter einstängligen Pflanzen. Dabei sei alles in bester Ordnung und Reinheit gehalten, die Inhaber bereitwillig, freundlich und bescheiden. Ihr Fazit lautete: Bei solchen, dem kaufmännischen Egoismus freien Tugenden fördere sich diese Gärtnerei durch sich selbst.

                                                                                

Im Zuchtgarten – Die Blumen der Welt kamen nach Quedlinburg

Ein breiter Weg, der an beiden Seiten von einem Spalier mit der bunt schillernden, aus Mexiko stammenden, karminroten Windenblume (Ipomoea purpurea) mit Tausenden von Blumen geschmückt und eingefasst war, durchschnitt den Garten. Die langen Rabatten und Beete boten zu beiden Seiten des Weges ein unübertrefflich schönes, glänzendes Farbenspiel, welches von der großen Anzahl der Levkojen mit ihrem herrlichem Duft und anderen Sommerblumen verursacht wurde. Hier und da „ruhte das Auge wohlgefällig auf einigen Kindern Floras, welche entweder durch ihre Neu- oder Schönheit ein besonderes Interesse erregten.“ Dazu gehörte die in Kalifornien beheimatete Gefleckte Hainblume (Nemophila maculata), weiterhin Lobelia ramosa, Clintonia elegans und C. pulchella, das aus Südamerika stammende und zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach Europa gekommene Portulakröschen. Dippe züchtete Portulaca tellusoni – besonders für die Blumenampel -sowie P. grandiflora alba. Des Weiteren standen im Zuchtgarten die aus Australien stammenden blauen Gänseblümchen (Brachyscome iberidifolia), die ursprünglich in Südafrika beheimateten Mittagsblumen (Mesembryanthemum tricolorum und M. pomeridianum), die Sporn- (Centranthus macrosiphon) und Flammenblumen (Phlox drummondii purpurea und Phlox oculata). Die Phloxsorte 'Dr. Prinz Leopold' galt seinerzeit als die schönste und wurde von Dippe in acht verschiedenen Farben mit gesternter Blumenkoralle gezüchtet.

Abb.1 Ipomoea purpurea purpur pragtsnerle von Hans Simon Holtzbecker MeisterDrucke 1299803Ipomoea purpurea (Windenblume), von Hans Simon Holtzbecker

Platz für krautige Pflanzen

Den Raum vor den Wirtschaftsgebäuden nahmen zahlreiche Mistbeetkästen ein. Hier wuchsen die krautigen Sommerblumen wegen des sicheren Samengewinnes heran. Dazu gehörten die neueren Züchtungen der Blumengärtnerei: Die Große Kapuzinerkresse (Tropaeolum majus), Anagalis in den schönsten Varietäten, ferner prächtige Cuphea-Hybriden und Cyclanthera pedata - eine in Mittel- und Südamerika beheimatete Kürbisart sowie die aus Mittelamerika stammende Eucnide bartonioides (Goldquaste). Davon standen etwa 20 Fenster voll in üppigster Blüte. Sowohl als Beet- und auch als Topfpflanze war sie eine Zierde. Daneben ein großes Sortiment der schönsten Stiefmütterchen (Viola tricolor maxima) in vorzüglich guten Farben und mit vorschriftsmäßigem Blumenbau.               

Die annuelle Grammanthes gentianoides war eine der neuesten Gewächse für kleine Beete, Gruppen, Buchsbaum-Verzierungen und auch zur Topfkultur. Sogar in solchen Lagen, welche der Sonne ganz ausgesetzt sind; kein Wunder, stammt sie doch aus den Sandsteppen Südafrikas.

Abb.3 Grammanthes GentianoidesGrammanthes gentianoides, Houtte, Louis Bernoit van: in Flore de serres, 5. Bd., Tab. 518, Gent 1850.

Außerdem gab es die ursprünglich in Mexiko beheimatete prächtige Martynia  mit ihren sonderbar geformten, gemshornähnlichen Samenkapseln, die Weiße Gauklerblume (Mimulus albus) und die morgens und abends blühende Nycterinia capensis mit einem herrlichen Vanille-Geruch, aus Südafrika stammend.

Abb.7 Martynia annuaMartynia annua, Ehret, Georgius Dionysius (1748) Plantae et papiliones rariores. (wikipedia, gemeinfrei).

Eine der außergewöhnlichsten und exotischsten Blüten hatte die erstmals 1824 erwähnte und aus der südafrikanischen Provinz Ostkap stammende Art Pelargonium schizopetalum.

Abb.5 Pelargonium schizopetalum Centranthus macrosiphonPelargonium schizopetalum, Illustration aus der Erstbeschreibung von 1824 gez. von E. D. Smith 1824 (wikipedia, gemeinfrei, https://biodiversitylibrary.org/page/47409922)

Immisch bedauerte, dass sie ungeachtet ihres Wohlgeruchs und ausnehmend schönen Blumen in vielen Gärten noch vermisst werde. Fernerhin waren Lobelia heterophylla major und L. rosea vertreten.  Die vielen, größtenteils in Topfkultur kultivierten Balsaminen, hatten zwar noch keine Blüte, aber die üppigen Pflanzen ließen nach Immischs Einschätzung etwas sehr Schönes erwarten, ebenso die Astern auf den freien Beeten. Jede Pflanze war an einen Stab gebunden. Schließlich beeindruckte ihn die große Sammlung der Pantoffelblumen (Calceolaria hybrida pendula). In ihrer Form, Größe und Farbenpracht wetteiferten sie mit denen der größten deutschen Handelsgärten.  Ein Resultat, welches offenbar der Sorgfalt beim Bepflanzen, Überwintern und Beschatten mit geöltem Papier zuzuschreiben sei.

PantoffelblumePantoffelblume, pub by S. Curtis Glazenwood, Essex, 1831.

Die Herren Dippe hätten auch keine Kosten gescheut, sich von den berühmtesten Züchtern des In- und Auslandes Samen zu beschaffen, um so nach und nach das ausgesuchteste Sortiment zu bekommen. Von dem sei stets Samen vorrätig. Dabei werde der Samenhandel sehr vorsichtig betrieben. Die Einrichtungen auf den schönen Trockenböden und nachherigen Aufbewahrungsorten ließen voraussetzen, dass Verwechslungen nicht leicht vorkämen. Immisch ergänzte, dass die Gebrüder Dippe lieber ein ganzes Beet mit allen übrigen Pflanzen abräumten, um nur diese oder jene Sorte vor Verwechslung zu bewahren. Seiner Einschätzung nach hatte die Ordnung beim Samenbau im Großen besonders darin ihren Grund, dass der eine Bruder den Gemüsesamen und der andere die Blumenzucht beaufsichtige und leite „und zwar mit einer solchen Regsamkeit und Liebe zur Sache, wie man sie selten findet.“ Dass die Gebrüder Dippe sich hauptsächlich mit der Gewinnung von Sämereien der gewöhnlichen Florblumen beschäftigten, bestätigte 1859 der dem preußischen Gartenbauverein vorstehende Professor Karl Koch.

Geschichte des Phloxes

Während seiner Reise in Texas stieß der englische Sammler Drummond auf die Flammenblume (Flamme: griechisch=Phlox). Von ihr begeistert, schickte er 1835 Samen nach Europa. Er keimte bald und blühte üppig, bestach dazu durch seinen Farbenglanz und versprach eine Zierde der Gärten zu werden. In gärtnerischen Zeitschriften wurde die Art wohl erstmals 1845 erwähnt. Der Züchter F.C. Heinemann in Erfurt führte Anfang der 1850er Jahre Kreuzungen mit verschiedenen Sorten von Phlox Drummondi durch. Kurz darauf züchtete ein österreichischer Gärtner „den herrlichen Phlox Landgraf Fürstenberg (auch Radetzky)“ (Regel, 1853). Dieser stand 1852 auch in Dippes Zuchtgarten.

Abb.2 Phlox drummondii Curtis originalPhlox drummondi (Flammenblume), pub. by S. Curtis, Glazenwood, Essex, 1835.

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