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Durch den Blumen-, aber auch durch den Gemüsesamenanbau, hatte die Quedlinburger Feldflur im Verlauf des 19. Jahrhunderts das Aussehen eines riesigen blühenden und duftenden Gartens angenommen - sie glich einem Meer von Feldern für die Saatgutgewinnung.

Schon seit dem Mittelalter zog sich vor den Mauern der Stadt ein Kranz großer blühender Gärten hin, zu denen seit den 1820er Jahren noch die alten, allmählich in Gärten verwandelten Stadtgräben hinzukamen. Sie wurden eingeebnet und mit Obstbäumen, Wein und Sträuchern bepflanzt. Dabei blieb es nicht. Äcker, die in unmittelbarer Umgebung der Stadt lagen, wurden zu dieser Zeit ebenfalls nach und nach zur Gemüse- und Blumensamengewinnung in die ständige gartenbauliche Nutzung einbezogen. Auf dieser Basis kam der künftig wichtigste Wirtschaftszweig Quedlinburgs im 19. Jahrhundert zu größter Bedeutung (Hermann Wagner, 1995).

Der altenburgische Hofgärtner Johann Jakob Kunze hatte früher 18 Jahre selbst Blumen gezüchtet und Samenhandel betrieben. Eine seiner Reisen führte ihn ausgangs der 1830er Jahre von Halle kommend durch das nördliche Harzvorland. In der Nähe von Aschersleben fiel ihm der häufige Samenbau von Gemüse aller Arten auf. Gleiches fand er später auch auf Ackerstücken bei Quedlinburg vor, nur dass hier auch noch Blumensamen herangezogen wurde. Bisher gab es Vorbehalte zu hiesigen Sämereien. Es hieß, hier werde es nicht so genau genommen, ob die Sorten gut seien und ob sie in ihrer Form zum Samenbau geeignet wären oder nicht. Daher erkläre sich auch, warum man in dieser Gegend die Sämereien so billig verkaufen könne. Was ihn dennoch in Erstaunen versetzte, war: Niemals hatte er bisher gesehen, dass an einem Orte so viele verschiedene Arten und Sorten zuverlässig angebaut wurden. Wenn auf dieser Grundlage weitergearbeitet werde, stünden in einiger Zeit gut gezüchtete Sämereien in Aussicht.

An einem wundervollen Spätsommer-Morgen im Jahr 1856, ein halbes Stündchen in der Ebene südlich der Stadt, herrschte auf den Feldern ein reges Leben. Viele Arbeiter schnitten und trugen auf einem beträchtlichen Stück Land die Samenträger von Runkelrüben, Salat, Zichorien, Erbsen, Bohnen und allerlei Kohlarten zusammen. Als der anonyme Autor –sei es ein Botaniker oder Mitglied eines Gartenbau-Fördervereins – auf dem Weg ein Stück weiter ging und an der Gabelung zu einem westlich gelegenen Feld abbog, leuchtete ihm eine große, bunte Blumen-Flur entgegen. Nach einiger Zeit stand er vor einem großen Feld, das nur mit Astern bepflanzt war, die wohlgeordnet und in ihren verschiedenen Sorten in prachtvoller Blüte standen. Da waren neben den alten, immer noch stattlichen Feder- oder Röhrenastern, die Kugelastern, die Kugel-Pyramiden, die neuen sehr gefüllten Zwergbouquet-Pyramiden, die Zwergaster, die türkischen und Päonien-Astern, sämtliche den Blumenzüchtern zu empfehlen. Ihm gefielen besonders die Päonien-Astern. Sie waren über alle Beschreibung voll und schön, dann die Bouquet-Aster, obwohl sie in den Farben noch etwas variierten. Es war bald zu erkennen, dass diese schöne Feldflur durch tüchtige Meister in ihrer Kunst hervorgebracht wurde, und er freute sich, als er hinterher vernahm, dass sie zu dem ausgedehnten Eigentume der Herren Gebr. Dippe gehörten. Mit der Vollendung der Separation im Jahr 1858 wurde der Samenbau in der Stadtflur ganz besonders begünstigt. Bei dem Zusammenlegen vieler kleiner Grundstücke in mehrere Pläne wurde den Samenzüchtern stets solches Land zugewiesen, welches sich zum Samenbau eignete. Dadurch war es jedem Samenanbauer möglich geworden, die Sorten auf verschiedenen, weit voneinander entfernten Feldern anzubauen, ohne einen samenbauenden Nachbarn zu belästigen.

Dippe 1935 webDippe-Felder, 1935

Der preußische Verein zur Förderung des Gartenbaues berichtete gelegentlich, so auch 1859, über den hiesigen Blumensamenanbau. Hiernach mache es einen eigentümlichen Eindruck, wenn man sehe, dass ganze Morgen mit den verschiedenen Astern oder mit Reseda bepflanzt seien. Selbst nicht gewöhnliche Blumen, die man in den Gärten nur vereinzelt und höchstens in kleinen Gruppen sieht, wie Centaurea moschata (Duftflockenblume), Ampherephis aristata usw. würden in der Quedlinburger Feldflur gleich größere Flächen einnehmen. Eine andere Zeitschrift, die „Gartenflora“, wies daraufhin, dass aus wenigen Sorten der China-Astern binnen dreißig Jahren durch sorgfältige Kultur eine sehr große Menge an Sorten entstanden sei. In Erfurt und Quedlinburg sehe man heute ganze Beete oder gar Äcker von 10 bis 20 Morgen voll unverpflanzter Astern beisammenstehen. Dieselbe Zeitschrift berichtete 1859: „Unter allen samenbauenden Orten steht in Bezug auf die Menge der Erzeugnisse Quedlinburg nicht nur in Deutschland, sondern wohl überhaupt oben an.“ Die Quedlinburger Samenzüchter wetteiferten gegenwärtig, die besten und reinsten Samen zu ziehen. Selbst die Levkojenzucht, worin sonst Thüringen vormals einzig dastand, hatte in Quedlinburg einen großen Aufschwung genommen und werde jetzt mit so großer Sorgfalt betrieben, dass der dort gezogene Samen nichts mehr zu wünschen übriglasse und so gut als der Erfurter oder Arnstädter sei.

Nach Angaben des von Prof. Koch geleiteten preußischen Fördervereins für den Gartenbau wurden für Blumensämereien in Quedlinburg im Jahre 1863 nicht weniger als 200 Morgen Land in Anspruch genommen. Dabei boten die verschiedenen Asternsorten einen wunderhübschen Anblick, da man ihre Sorten und Farben getrennt hatte. An die 25 Morgen wurden jährlich damit bebaut. Levkojen nahmen im Jahr davor 15 bis 20 Morgen in Anspruch, Reseda 10. Wenn man bedenke, so schrieb er, dass allein die kleinen Nemophilen (Hainblume) 15, Silene multiflora (Vielblütiges Leimkraut) ebenfalls 15, Silene pendula (Hängendes Leimkraut) 5, die wohlriechenden Wicken 15 bis 20, Rittersporn 10, dreifarbige Winden 3 und Phlox Drummondi 2 Morgen zur Samengewinnung einnehmen, so werde man die Zahl von 150 bis 200 Morgen, allein um feinere Blumen-Sämereien heranzuziehen, nicht zu groß finden. So sei Quedlinburg mit seiner Feldmark, die bald selbst nicht mehr ausreichen sollte, ein großartiger Garten geworden, schrieb Karl Koch 1866 im preußischen Vereinsblatt zur Hebung der Gartenkultur. Auch Arzneipflanzen wurden in großen Mengen angebaut. Ein Privatmann hatte in der Nähe von Quedlinburg 8 Morgen mit schwarzen Malven kultiviert. Während der Blütezeit beschäftigte er 20 Menschen nur zum Abpflücken der Blumen. Der Anbau von Thymian soll auf 70 Morgen und Salbei auf 10 Morgen erfolgt sein. Hier wurden aber wohl hauptsächlich die abgeschnittenen Kräuter verkauft.

Ende August 1866 bestieg Prof. Karl Koch im besonderen Auftrag den Zug in Berlin. Weil während der Fahrt die Gegend von dort aus, botanisch gesehen, ihm wenig bot, genoss er die Zeit zum Nachdenken. Als er plötzlich in die Nähe von Quedlinburg kam und „auf beiden Seiten die großartigen Kulturen von Florblumen, Gemüse usw.“ erblickte, schwebte ihm ein Laboratorium für die Samenzucht vor. Am liebsten wäre er ausgestiegen. Doch er hatte eine andere Aufgabe zu erfüllen. Es war der preußische Garten, der im nächsten Jahre zur Weltausstellung in Paris fertig hergerichtet und gestaltet sein musste. Er empfahl aber vorerst allen Blumenfreunden, Quedlinburg während der besseren Jahreszeit zu besuchen.

Historische Pressestimmen

„Und vollends vergnüglich war’s, als nun allgemach am Horizont die ersten blauen Höhenzüge aufdämmerten, als wir bei der Blumenstadt Quedlinburg durch wahre Riesenfelder blühender Astern hindurchfuhren und nun das Land wie ein einziger Garten sich ausdehnte“, berichteten 1884 die in Wien erscheinenden „Medizinische Blätter“ im Nachklang der Versammlung deutscher Ärzte und Naturforscher in Magdeburg.

Ähnlich überschwänglich wurde die Quedlinburger Feldflur im Pädagogischen Jahresbericht für Deutschlands Volksschullehrer von 1890 erwähnt. Darin heißt es, die malerische Lage der Stadt mache sich besonders zur Sommerszeit bemerklich, wenn die Sonne die lieblichen Kinder der Fluren färbe. Dann umblühten Millionen von Blumen und wohlriechende Kräuter die Stadt. Die buntesten Farben entzückten unser Auge und ein berauschender Duft ströme uns aus unzähligen Blütenkronen entgegen.

Dieser Reigen schließt mit einer Einschätzung des Hofgartendirektors Lauche. Sein 1896 in der „Wiener Illustrierte Gartenzeitung“ veröffentlichtes Fazit lautete:

„Je mehr man sich Quedlinburg nähere, desto mehr fühle man sich in einen großen bunten Garten versetzt; man durchfährt schon lange vorher wohlgepflegte, blumenreiche Gefilde, die wohl wie Blumenteppiche der ganzen Gegend ein überaus freundliches Gepräge verleihen, und immer mehr zusammenschließend die Stadt umgürten.“

Stadt und Flur Quedlinburg - ein Garten in wachsenden Ringen: War Quedlinburg bereits 1850 mit einem Kranz blühender Gärten umgeben, war die sie umschließende ausgedehnte Feldflur um 1900 selbst zu einem großen bunten Garten geworden.

4 6 Gebr.Dippe Holzbreiteheute MoorangerGebr. Dippe Holzbreite, heute Mooranger

4 4 Drachenlochgarten LevkojenpflanzungenDrachenlochgarten, Levkojenpflanzungen

06 ISP Quedlbg. Asternmeer u. Vermehrungsselektion webISP Quedlinburg: Vermehrungsselektion bei Aster

SX Firma Asternzuchtfeld web satimex Quedlinburg: Asternzuchtfeld

Quelle

Wagner, Hermann (1995) Der Quedlinburger Blumensamenbau. Oschersleben, S.35.

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