In Europa dauerte es mehr als 200 Jahre, bis die Tomate in allen Bevölkerungsschichten als Nahrungsmittel akzeptiert wurde. Unter anderem lag das daran, dass man ihre Früchte nicht für essbar oder sogar giftig hielt, da sie ähnlich aussahen wie jene der giftigen einheimischen Nachtschattengewächse (z.B. Tollkirsche oder Alraune). Ihren Siegeszug als Grundnahrungsmittel begann die Tomate im 17. Jahrhundert (Jh.) in Italien und etwas später in Spanien. Deutschland war eines der letzten großen Länder Europas, das sich mit der Tomate anfreundete.
Bis 1900 (Beete 1 und 2, Tomatengarten)
In der Kulturlandschaft Vier- und Marschlande wurden bereits Mitte des 19. Jh. Tomaten für die Märkte in Hamburg kultiviert. Zu dieser Zeit siedelten Gärtner mit englischen Wurzeln in Hamburg, die aus ihrer Heimat diese Gemüseart mitbrachten. James Godfrey Booth war einer der namhaftesten. Bereits vor 1850 bot er Tomatensamen an. Vermutlich aus dieser Ära stammt die älteste, noch heute erhaltene Sorte „Vierländer Platte“. Eine deutschlandweite Verbreitung als Nahrungsmittel erlangte die Tomate allerdings erst ab den 1920er Jahren.
Bei großen, auch international agierende Saatzuchtunternehmen, wie z.B. Benary (Erfurt), Mette (Quedlinburg) oder Pfitzer (Stuttgart), waren bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jh. Tomatensamen in den Katalogen zu finden. Allerdings nicht unter den Gemüsearten, sondern als Küchenkraut. Die Früchte wurden klein gehackt als Gewürz zur Verfeinerung von Suppen genutzt. Anfänglich erfolgte eine Unterscheidung nur in klein- oder großfrüchtige sowie gelbe und rote Formen.
Eine intensive züchterische Bearbeitung begann in den Ländern, in denen sich die Tomate frühzeitig als Gemüse etablieren konnte. Hier sind insbesondere Italien, Frankreich und Großbritannien zu nennen. Auch die USA zählen zu diesen Staaten. Kurioserweise haben insbesondere italienische Einwanderer diese Gemüseart dort sesshaft gemacht, obwohl Mexiko als eines der Herkunftsländer, direkt an die Vereinigten Staaten grenzt.
In den Beeten 1 und 2 sind aus der zweiten Hälfte des 19. Jh. erhaltene Sorten, wie „Yellow Cherry“ (USA), „König Humbert“ (Italien) oder „Golden Jubilee“ (Großbritannien) zu finden. Auch eine deutsche Züchtung, die „Goldene Königin“ von der Firma Heinemann aus Erfurt hat die Zeiten überlebt. Sie zählt zu den erfolgreichsten Tomatensorten überhaupt; sie war in Deutschland bis 2015 und ist aktuell noch in den Niederlanden offiziell als Handelssorte zugelassen!
Züchter Alexander Livingston (Beet 3, Tomatengarten)
Dieses Beet ist dem erfolgreichen Tomatenzüchter Alexander Livingston (USA, 1821 – 1890), gewidmet. Vor allem die Form und Größe der Früchte sowie deren Transporteignung standen im Fokus seiner züchterischen Arbeit. So wurden seine Tomaten u.a. in der von einem deutschen Einwanderer gegründeten H. J. Heinz Company (jetzt The Kraft Heinz Company) zu Ketchup verarbeitet (siehe Abb. 1).
Abb. 1: Historisches Auslieferungsfahrzeug für Tomaten der H. J. Heinz Company, Senator John Heinz History Center, 1212 Smallman Street, Pittsburgh, Pennsylvania, USA (Foto: Daderot – Wikipedia, gemeinfrei)
1900 – 1930 (Beet 4, Tomatengarten)
Zwischen 1900 und 1930 sind einige bemerkenswerte Sorten entstanden, die auch heute noch, zumindest in Hobbykreisen, eine starke Verbreitung aufweisen. „Johannisfeuer“ ist aus einer italienischen Fleischtomate selektiert worden und reift bereits ab Mitte Juli, was für diese Nutzungsgruppe nicht üblich ist. „Lukullus“, eine Züchtung von Franz Staib aus Aschersleben (Terra-Saaten AG), ist äußerst umweltstabil und in ganz Deutschland anbauwürdig. Eine feingliederige, frühreifende Sorte ist die „Bonner Beste“, gezüchtet von Max Löbner (Pflanzenversuchsanstalt Friesdorf bei Bonn).
1930er Jahre (Beet 5, Tomatengarten)
In den 1930er Jahren erfolgte in Deutschland eine Bereinigung der Kulturpflanzensortimente. Nur noch die Sorten durften in den Handel gelangen, die amtlich geprüft und für wirtschaftlich wertvoll erachtet wurden. Eingang in die Reichssortenliste fanden unter anderem die bereits besprochenen Sorten „Goldene Königin“, „Lukullus“ und „Bonner Beste“. Auch nach dem II. Weltkrieg waren diese drei Sorten in den Sortenregistern der beiden deutschen Staaten zu finden.
Weitere, sehr ertragreiche, damals in Deutschland zugelassene Sorten, sind „Überreich“ (Heinemann Erfurt), „Rheinlands Ruhm“ (Frembgen Niederdollendorf bei Bonn) und die Sonderform „Immun“ (Stoffert Peine). „Rheinlands Ruhm“ eignet sich nur für warme Lagen mit langem, warmen Herbst, dort ist sie allerdings sehr ertragstreu. Auch die „Immun“ reift später und verlangt ebenfalls einen langen, sonnigen Herbst. Sie wird als Industrietomate ohne Stütze und Schnitt eingeordnet.
1940-50er Jahre (Beet 6, Tomatengarten)
Auch in den 1940-50er Jahren dominierten die roten runden Tomaten. Eine Ausnahme bildet die gelbe Sorte „Blondköpchen“, die riesige Blütenstände mit zum Teil mehr als 50 Früchten bildet. Bemerkenswert ist die schwachwüchsige „Frühe Liebe“ (Institut für Pflanzenzüchtung Quedlinburg), die immer noch zu den frühesten Tomaten im Sortiment zählt. Allerdings korreliert die Frühzeitigkeit mit geringem Ertrag. Einige Jahre später erlangt diese Sorte als Elternteil der ersten Hybrid-Tomatensorte der DDR Berühmtheit. 1959 wird die „Harzfeuer F1“ zugelassen, zuerst unter dem Namen „Primavera“. Allerdings besaß ein Züchter in Westdeutschland die Rechte auf diesem Namen, so dass eine Umbenennung in „Harzfeuer F1“ erfolgte. Der zweite Elternteil der Hybridsorte war der Massenträger „Money Maker“ aus den USA.
Vorfahren der Kulturtomaten (Beete 7, 8 und 24, Tomatengarten)
In diesen Beeten sind die Vorfahren der Kulturtomaten ( Lycopersicon esculentum) aufgepflanzt. Es wird postuliert, dass die Kulturformen aus der Wildform Solanum pimpinellifolium durch Indigene in Lateinamerika entwickelt wurden. Hans Stubbe und Mitarbeiter (Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung Gatersleben) haben in den 1960er Jahren Mutationsversuche an Tomaten durchgeführt. Ziel war es, schrittweise den Evolutionsprozess von einer Wildtomate zur Kulturtomate zu verfolgen. Nach mehreren Schritten gelang es, durch gezielte Selektion auf Fruchtgröße, Formen zu selektieren, die der Kulturtomate entsprachen. Mit der Vergrößerung der Früchte ging eine Reduzierung der Blütenblattzahl und eine Erhöhung der Fruchtkammerzahl, beides in Richtung zu Lycopersicon esculentum einher.
Wuchstypen – Buschtomaten (Beet 9, Tomatengarten)
Ursprünglich sind Tomaten mehrjährige Stauden, deren einzelne Triebe unbegrenzt (indeterminiert) wachsen. Dem entsprechen die sogenannten Stabtomaten. Sie bilden an einem Trieb fortwährend bis zum Frost Blüten und Früchte. Der Anbau erfolgt meist eintriebig, indem alle Seitentriebe ausgegeizt und an Stäben, Fäden oder Spalieren aufgebunden werden.
Das Gegenstück dazu sind Buschtomaten, die aus einer spontanen Mutation entstanden und begrenzt (determiniert) wachsen. Sie werden nicht ausgegeizt und sind dadurch mehrtriebig. Die Sorten „Iris“ und „Balkonzauber“ stammen aus dem VEG Aschersleben und wurden durch Elfriede Illner und Hartmut Arndt gezüchtet.
Züchter Christoph Kleinhanns (Beet 10, Tomatengarten)
Christoph Kleinhanns zählt zu den erfolgreichsten Pflanzenzüchtern Deutschlands. Er lebt jetzt in Gernrode und betreibt dort als Rentner die Kunstgalerie „Haus Sonnenschein“. Sein Hauptbetätigungsfeld fand er in der Saatzuchtstation Eisleben. Kleinhanns züchtete ca. 40 Sorten unterschiedlicher Gemüse- und Kräuterarten, davon allein über 10 Tomatenvarietäten.
Hausgarten- oder Familiensorten (Heirloom-Sorten) (Beete 11 und 12, Tomatengarten)
Diese Gruppe umfasst Varietäten, die über Generationen hinweg an einem Standort oder in einer Familie immer wieder angebaut wurden. Häufig handelt es sich um ehemalige Handelssorten, bei denen der Name verloren gegangen ist. Sie sind sehr gut an die örtlichen Umwelt- und Nutzungsbedingungen angepasst.
Hervorzuheben sind die Sorten „Onkel Gustav“ und „Sibirisches Gelbes Herz“. Erstere Sorte ist eine umweltstabile, rote Cocktailtomate, mit einem ausgewogenen Tomatengeschmack und angenehmer Süße. Sie kann mehrtriebig (bis zu vier Triebe) gezogen werden und trägt sicher bis zum ersten Frost. Das „Sibirische Gelbe Herz“ ist eine Fleischtomate mit schnittfesten Früchten, die als Liebhabersorte für feinen Geschmack gilt. Sie wird eintriebig gezogen, da sie später reift.
Nach 1960 (Beete 13 – 17, Tomatengarten)
Ab den 1960er Jahren wurden neben den klassischen samenfesten Sorten (Beete 13-15) zunehmend Hybridsorten gezüchtet, diese haben zusätzlich zum Namen die Kennzeichnung F1 (Beete 16 und 17). Samenfeste Sorten kann jeder Gärtner selbst nachbauen, indem er Körner aus den Früchten entnimmt und im darauffolgenden Jahr wieder aussät. Er wird wieder Pflanzen erhalten, die dem Elterntyp entsprechen.
Bei Hybridsorten sieht das anders aus. Für diese Varietäten muss jedes Jahr das Saatgut neu erzeugt werden. Hierzu bedarf es spezieller Inzuchtlinien, die nur dem Züchter vorliegen. Durch die Kreuzung der beiden Inzuchtlinien entsteht ein sogenannter Hybrideffekt, der dazu führt, dass die F1-Hybriden besonders ertragreich sind. Bei einem Nachbau spalten die Nachkommen auf und der Gärtner erhält ein Gemisch mit sehr unterschiedlichen Pflanzen.