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Das Frauenstift Gernrode wurde 961 von Markgraf Gero auf dem Gelände der Burg Geronisroth gegründet.  Es wurde ein freiweltliches von Fürsten und Bischöfen unabhängiges Stift und verfügte über Ländereien von etwa 35 000 Morgen. Es sollte für viele Jahrhunderte die dominierende  Einrichtung für den Ort Gernrode werden.

Die Wirtschaftskraft des Stifts Gernrode basierte auf Grundbesitz. Zu besten Zeiten besaßen Stift und Propstei etwa 1000 Hufen Land, das waren etwa 11000 ha, bestehend aus Wald, Weinbergen, Fischteichen, Schafweiden und Ackerland.

Karri StiftsgründungDas Stift Gernrode war wie eine weltliche Herrschaft organisiert. Diese Abtei war ein Staat im Reiche und hatte mit ihren Besitzungen im Harzvorland einen guten und soliden Ruf und Leumund. Hochrangige Herrscher  der damaligen Epoche wie Kaiser Heinrich II. und Gemahlin (1004), Kaiser Heinrich V. (1105), Kaiser Barbarossa (1188), Friedrich II. (1215) und die vielen geistlichen Würdenträger und Fürsten waren zu Gast im Stift Gernrode.

Tatsächlich war  dieses Stift an Gütern und Vorrechten den berühmtesten deutschen Stiften gleichgestellt. Noch im gleichen Jahr erwirkte Gero bei Otto dem Großen Königsschutz, rechtliche Autonomie und das Recht auf freie Wahl der Äbtissin und des Vogts. Das Stift war reichlich ausgestattet, nach der Urkunde von 964  besaß es 76 Ortschaften, Kirchen und Güter,  außerdem erhielt die Stiftung Güter von Markgraf Eckhard und von König Heinrich IV.

Auf einer Romreise übertrug Gero seine Gründung dem Stuhl Petri. Papst Johannes XII. nahm das Stift unter päpstliche Aufsicht und entzog es damit der Kontrolle durch den Bischof von Halberstadt. Durch die Schutzunterstellung Geros an Papst und König hatten weltliche Dritte keinen Zugriff auf Vermögen und etwaige Besteuerungen des Stiftsvermögens. Das Stift finanzierte sich aus den Einnahmen der reichlichen Ausstattung, Gero hatte sein gesamtes Privatvermögen in das Stift eingebracht, dazu kamen Schenkungen und ähnliche Zuwendungen.

König Otto I. bestätigte die Stiftung schon 961, und Otto II. erteilte dem Kapitel in einer zweiten Urkunde desselben Jahres die Freiheit der Wahl einer Äbtissin und den Einsatz der Schutzvogte nach dem Bedürfnis des Klosters. Die Kaiser Otto III., Konrad II und Heinrich III. bestätigten gleichfalls die Stiftung und erteilen ihr alle Vorrechte, welche Gandersheim, Quedlinburg und andere kaiserliche Abteien besaßen.

Noch zu Geros Zeiten wurde das Stift Frose mit der Abtei Gernrode vereint.Der Grundbesitz war aufgeteilt in das Gut für die Äbtissin, die  Kanonissen und die sonstigen Bewohner der Abtei und der Propstei. (1)

Das Stift Gernrode war kein Kloster im eigentlichen Sinn, die Kanonissinnen konnten es jederzeit auf eigenen Wunsch wieder verlassen, sie behielten ihren Privatbesitz, konnten eine Ehe eingehen und durften in eigenen Unterkünften wohnen.

Der Konvent war die  Gemeinschaft der vollberechtigten Mitglieder eines Klosters oder Ordens. Die Äbtissin, die in der Regel durch die Stifterfamilie benannt oder gewählt wurde, stand dem  Stift vor. Sie bestimmt die Inhaberinnen der Ämter. Folgende Ämter wurden vergeben:

  • Die Priorin, sie verwaltet die Güter der Stiftsdamen.
  • Die Schatzmeisterin, sie verwaltet das Eigentum vom Konvent.
  • Die Kellermeisterin, sie verwaltet die Lebensmittel.

  • Die Pförtnerin, sie hütet die Klausur.

  • Die Schulmeisterin, sie lehrt Latein und die Inhalte der Schriften.

  • Die Küsterin, sie läutet die Glocken zum Stundengebet.

stiftsstrukturDie Kanonissinnen kamen  aus dem lokalen Adelsgeschlecht und dem deutschen Hochadel, waren also außerordentlich priveligiert. Eine der Prominentesten war Uta von Ballenstedt, die spätere Gemahlin von Ekkehard II., dem Markgrafen von Meißen. Beide sind als  in Stein gehauene  Skulpturen im Naumburger Dom zu sehen.Auch Hazecha, eine der späteren Äbtissinnen, wurde im Kloster erzogen und ausgebildet. Beide, sowohl Uta als auch Hazecha, waren Schwestern des Grafen Essiko von Ballenstedt, dem Begründer des Geschlechts der Askanier.

Die Statuten schrieben den Stiftsdamen ein Leben in strenger Abgeschlossenheit (Klausur) vor, deshalb war das Stift von sehr starken Mauern umgeben und nur durch eine Pforte zu betreten. Hauptanliegen des Stiftlebens war das Führen eines gottgefälligen Lebens der alleinstehenden adligen Damen. Die Aufgaben der Kanonissen bestanden im Chordienst und der Armen‑ und Krankenpflege. Die täglichen Gebetsverpflichtung und die Teilnahme an den Messen an hohen kirchlichen Feiertagen und an den Todestagen für die Stiftungsfamilienmitglieder nahmen einen breiten Raum ein. "Inbrünstig und mit ganzer Anstrengung des Geistes und des Körpers" sollten die Kanonissinnen Gott dienen sowie für das Seelenheil der Herrscher - und Stifterfamilien beten. (1)

Ein Gelöbnis mussten sie nicht ablegen. Innerhalb des Stifts führten die Kanonissen ein gemeinschaftliches Leben. Die Sanktimonialen waren aufgerufen, unmittelbar nach dem Abendgebet in den Schlafsaal zu gehen und keine Zeit mehr zum Schmause, Trinken oder für überflüssiges Geplauder zu verschwenden. Die Speisen wurden im Speisesaal gemeinsam eingenommen, während des Essens wurde aus heiligen Schriften vorgelesen.

Aus dem Gemeinschaftsleben durften sich die Stiftsdamen in private Aufenthaltsbereiche zurückziehen. Das Bewohnen privater Bereiche war durchaus üblich, die Räume waren mit privatem Besitz und Gegenständen eingerichtet. Die Kanoniker des Stifts wohnten in eigenen Kurien außerhalb des Stiftsbezirks, der im Lageplan der Stiftskirche dargestellt wird.

Lageplan StiftskircheDie Kanonissen Gernrodes verfolgten  die gleichen Bildungsideale wie Gandersheim oder Quedlinburg, ohne im Detail deren Niveau zu erreichen. Das Gebetsgedenken war die Hauptaufgabe des Stifts. Es war und blieb ein Mittelpunkt des geistlichen Lebens im Kloster. Daher war der Tagesablauf der Sanktimonialen durch Gebetsstunden bestimmt und weitgehend ausgefüllt. Im Stundengebet wurden Psalmen und  Auszüge aus dem Alten und Neuen Testament gelesen sowie Hymnen, Fürbitten und Antiphonen gesungen. (1)

Besonders intensiv gedachte man der Toten in den Vigilien, das war ein nächtlicher Trauer- und Gedenkgottesdienst am Jahrestag des Todes eines Verstorbenen. Die so Geehrten wurden ins  Vigilien Buch eingetragen.

Die Kanoniker, das sind Kaplane, Kustos, Diakone und Subdiakone, hatten  seelsorgerische Aufgaben und wurden durch Stiftungen an das Kloster oder durch  Pfründe finanziert. Knechte, Mägde, Unfreie, vom Stift abhängige freie Bauern, Amtsleute sogenannte Ministerialen, einfache Lehensträger, sogenannten Vasallen, sie alle gehörten zum Stiftsverband, sie waren Mitglieder der „familia“. (1)

Äbtissin und Konvent bestimmten, welche Vogte und Untervogte bestellt wurden und wer Inhaber der Hofämter wurde. Die Vögte vertraten das Kloster in Rechtsangelegenheiten in der Öffentlichkeit. Sie erhoben das Vogt Geld, die Steuern, die Dienste und Abgaben.

Der Vogt sprach Gericht über die zur „familia“ gehörigen Menschen, die Mägde, Knechte, hörigen Ministerialen und  freien Bauern. Er schützte das Stift vor Übergriffen von Adligen, stellte Urkunden aus, nahm an der Äbtissinnen Wahl teil und erhob Abgaben.

Diese Aufgaben waren mit lukrativen Einnahmen verbunden, deshalb waren Vogteiämter beim Adel sehr begehrt. Seit dem zwölften Jahrhundert hielten die Grafen von Ballenstedt das Vogteiamt Gernrodes in erblichem Besitz. Wiederholte Versuche der Äbtissinnen, die Gewalt über die Vogtei  zurückzugewinnen, schlugen fehl.

Die Askanier setzten schon frühzeitig ein Zeichen. Die später aufkommende Geldwirtschaft in Deutschland schwächte die Naturaleinnahmen der verstreut liegenden Besitzungen, so dass Güter verkauft werden mussten.  Der Grundbesitz schrumpfte teilweise beängstigend. Nur einen geringen Teil verwalteten die Stiftsdamen selbst, mit dem größeren Besitzanteil wurden Vasallen und Ministeriale beliehen. Die Äbtissin und die Stiftsdamen ließen ihre Anteile von stiftsabhängigen Bauern gegen einen Zins bewirtschaften.

Durch Verschuldung und Misswirtschaft einzelner Äbtissinnen, durch Streitigkeiten innerhalb des Kapitels und rückläufige Siedlungsentwicklungen im Spätmittelalter verlor das Stift seit dem 13.Jahrhundert Güter und abhängige Bauern. 1544 war der Besitz auf Gernrode, fünf Dörfer und einige wüste Feldmarken zusammengeschrumpft.

Bei der Gründung des Gernroder Stifts wurde die Stiftskirche St Cyriakus  Maria und Petrus geweiht, als Schutzheilige kamen später der Heilige Cyriakus  und der Heilige Metro hinzu. (95) Gero brachte von seinen Romreisen den Armknochen des heiligen Cyriakus und Knochenteile des heiligen Metro nach Gernrode. Der Märtyrer Cyriakus galt als der Bezwinger des Teufels. Die Reli- quien wurden während der Reformation entfernt.

Grabstein HathuiÄbtissin Hathui war nicht nur die erste, sondern auch die bekannteste Gernroder Äbtissin. Sie war eine gebürtige Billunger, einer  in Westfalen und Ostsachsen reichbegüterten und mächtigen Familie und wurde 936 geboren.

Hathuis Tante Mathilde hatte 909 den Liudolfinger Heinrich geheiratet, der 919 als erster Sachse zum König gewählt wurde.

Hathui war eine hochgebildete Frau, die das Kloster über 52 Jahre vorbildlich leitete. Sie führte den Titel "gubermatrix", was so viel wie  "Herrscherin" bedeutete. Damit hatte sie Pflichten und Rechte wie eine Landesherrin, nur die obere Gerichtsbarkeit über ihre Gernroder Untertanen übte der Schutzvogt aus. Weisungsberechtigt waren nur der Papst und der König, der das Schutzrecht besaß.

Nicht alle späteren Äbtissinnen konnten diesem Vorbild folgen und es gab Zeiten, in denen das Stift durch Unfähigkeit einer Äbtis­sin in große wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet.

Die Führung eines Klosters war auch schon zur damaligen Zeit neben den speziellen Aufgaben einer klösterlichen Einrichtung mit verwaltungstechnischen, aber auch wirtschaftlichen und finanziellen Entscheidungen verbunden. Diese Aufgabe stellte hohe Anforderungen an Ausbildung und Eignung der Äbtissinnen. Zwar stand ihr der jeweilige amtierende Schutzvoigt zur Seite, die Verantwortung für das Wohlergehen des Stifts konnte ihr jedoch niemand abnehmen.

Die Ausbildung für ihr Amt hatte Hathui in dem 936 von der Königin Mathilde in Quedlin­burg errichteten Damenstift erhalten, 954 wurde sie die Frau Siegfrieds. Als 25-jährige Witwe, kinderlos, machte Gero sie zur ersten Äbtissin des von ihm gegründeten Stifts. Sie wurde 962 vom Halberstädter  Bischof Bernhard geweiht. Sie starb am 14. Juli 1014, sie erhielt einen Ehrenplatz vor dem heiligen Kreuzaltar in der Vierung der Stiftskirche neben ihrem Schwiegervater Gero. In Gernrode wurde diese Äbtissin wie eine Heilige verehrt.

äbtissin scholastika1469 wurde Scholastika Äbtissin. Sie war die Tochter  Fürst Georgs I. von Anhalt und wurde im Kloster Helfta erzogen. Im Alter von 18 Jahren wählten sie die Quedlinburger Äbtissin und die Stiftsinsassen einstimmig zur Äbtissin des Gernroder Stifts. Ihr wurde bestätigt, dass sie ihrem Stift mit Ernst und Würde vorgestanden habe, obwohl sie mit einigen konservativen Kirchenbräuchen nicht glücklich war und sie gern eine Anpassung herbeigeführt hätte. Ihre besonderen Tugenden während ihrer Amtszeit waren Demut und Geduld.

Sie starb am 31.August 1504. Ihre Nachfolgerin wurde Elisabeth von Weida. Sie gilt als die Bedeutende der Gernroder Äbtissinnen. Als treue Verehrerin Luthers ergriff sie als eine der Ersten Partei für die gereinigte Lehre des Christentums.

Gernrode bekam eine der ersten Schulen in Deutschland, in denen Luthers Reformen wirksam umgesetzt werden konnten, es entstand eine allgemein zugängliche Schule, in der Kinder aller sozialen Schichten eine elementare Bildung erwerben konnten. Daran hatte Elisabeth von Weida einen entscheidenden Anteil.

Als sie sich 1521 der Reformation anschloss, ahnte sie wohl nicht, dass sie damit der Abtei die Grundlage ihrer Selbstständigkeit entzog.

Elisabeth sah sich wegen ihrer fortschrittlichen Reformgedanken massiven Anfeindungen ausgesetzt, doch sie erwies sich allen Drohungen der Päpste und der daraus resultierenden Gefahren als sehr standhaft. Ihrem gesamten Kapitel stellte sie in einer  flammenden Rede dar, Dankbarkeit zu zeigen und es als Wohltat Gottes zu werten, dass sie die Zeit erleben durften, in welcher der papistische Sauerteig ausgefegt und das Licht  des Evangelium rein und lauter gepredigt würde. (2)

Diese starke Tat einer katholischen Äbtissin in jener Zeit brachte ihr den Hass der Vornehmen des Kapitels und der Grafen, Bischöfe und Edelleute ein. Sie blieb standhaft, fürchtete keine Gefahr und lebte ohne menschlichen Schutz. Nur vor Gott wollte sie Rechenschaft ablegen, sie zog dem Ruhm Christi allen irdischen Sachen vor. Eine starke Tat einer starken Frau, das kann man ihr auch heute noch bestätigen.

Schon im zwölften Jahrhundert verstärkte sich der Einfluss sächsischer Schutzvögte aus dem Haus der Askanier, den späteren Fürsten von Anhalt. Sie versuchten durch geschicktes Vorgehen das Stiftsgebiet ihrem Besitz einzuverleiben. Unter den beiden mittelbaren Nachfolgerinnen der Elisabeth von Weida, der tüchtigen Anna von Plauen (1532-1549) und der klugen Anna von Kittlitz, (1549-1558) wurde das Machtstreben der Anhaltiner noch nicht so offensichtlich vorangetrieben.Anna von Plauen war die Nichte des Fürsten Wolfgang, des damaligen Erbschutzvogtes der Abtei. 

Nach dem Tod der Äbtissin Sophie Elisabeth von Anhalt im Jahr 1614 wurde die Leitung des Stifts nicht wieder besetzt. 1616 gliederten die anhaltischen  Fürsten das Stift  in ihren Besitz ein und sahen sich damit am Ziel eines jahrhundertelangen Bestrebens, das Gernroder Stift in ihren Besitz zu bekommen.

Klaus Okesson

Literatur

(1) Begleitheft zur Ausstellung „Schleierhaft“ in St Cyriakus.

(2) Schönichen; Gernrode am Unterharze 

Bildnachweis 
Diagramm „Innere Struktur des Gernroder Stifts“ aus der Broschüre „Schleierhaft“.
Lageplan der Stiftskirche ist eine Montage des Autors. 
Bilder der Äbtissinnen  sind Archivbilder des Gernroder Kulturvereins
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